Die Chronik der Janitscharen-Kapelle Altenau - gegr. 1847

1997 - "Die Schar wird 150" - Jubiläumskonzert im Altenauer Kurgastzentrum.

150 Jahre besteht die Janitscharen-Kapelle nun schon. Sie lädt ihre Freunde zum Jubiläumskonzert in das Altenauer Kurgastzentrum ein. Wenngleich auch der Anlass durchaus etwas anderes gerechtfertigt hätte: Der Vorstand kommt überein, nur eine "kleine" Jubiläumsfeier zu organisieren und gewissermaßen im Familienkreis mit den Altenauer Bürgern, den Vereinen und den musikalischen Freunden des Orchesters zu feiern. Den Festabend kann Jürgen Riese im Altenauer Kursaal vor einem vollem Haus eröffnen. 

Abordnungen befreundeter Musikvereine haben den Weg ins Kurgastzentrum gefunden, genau wie die Vertreter der örtlichen Vereine, etliche ehemalige aktive und viele passive Mitglieder. Es ist gute Tradition, auch die Altenauerinnen und Altenauer sind in großer Zahl gekommen um mit ihrer Schar zu feiern. Und schon Tage vor dem Ereignis war auf den Plakaten zu lesen: "Ausverkauft!"

In einer kurzen Festrede blickt Roland Riesen zurück auf die vergangenen Jahrzehnte. Er widmet den Janitscharen die folgenden Zeilen:


Der Gemeinschaftsgedanke in einem Verein –
Den Janitscharen zum 150jährigen Bestehen

Als ich von meinen Vorstandskollegen gebeten wurde, heute hier ein paar Worte zu sprechen, habe ich mir lange Gedanken darüber gemacht, was es Interessantes aus 150 Jahren Vereinsgeschichte zu berichten gibt. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle schriftlichen Unterlagen aus unserer Vergangenheit in den Wirren des Krieges vernichtet worden. Unsere Aufzeichnungen beginnen neu erst 1957, dem Jahr unseres 110jähigen Bestehens. Bei der Durchsicht der mir zur Verfügung stehenden Unterlagen bin ich immer wieder auf Begriffe, wie Gemeinschaft, Gemeinwesen, Gemeinwohl und Gemeinsinn gestoßen. Ich habe versucht, diese Begriffe in eine Beziehung zur Janitscharen-Kapelle als Teil eines Gemeinwesens zu stellen, denn man kann diese Worte sicher als wesentlich und existentiell für einen jeden Verein ansehen. 

Zusammenschlüsse zu Interessengruppen oder Verbänden, die materielle Forderungen durchsetzen oder oftmals gesellschaftspolitische Vorstellungen verwirklicht sehen wollen, sind heute nichts Außergewöhnliches. Die Janitscharen-Kapelle Altenau ist in diese Kategorie sicher nicht einzuordnen. Jahrzehnte lang hat sie durch unmittelbare Kontaktpflege mit wenig Worten, dafür aber umso mehr Musik versucht, musikalischer Botschafter unserer Bergstadt Altenau zu sein und verdeutlicht, dass nicht immer das Streben nach finanziellem Vorteil im Vordergrund stehen muss.

Je mehr Menschen sich finden, die aus gleichen Motiven, hier aus dem Interesse zur Musik und zu aktiver Freizeitgestaltung, Verbindungen knüpfen und vertiefen, desto eher wird sich in einem Gemeinwesen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln können.

Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ist hoch anzuerkennen. Wer das nicht kann, dem fehlt jeder Wille zur gemeinsamen Arbeit, zu gemeinschaftlichem Handeln und Schaffen. Würde ein solch negativer Geist die Gesellschaft als Ganzes erfassen, würden wir zu einem wirren Haufen auseinanderstrebender Menschen, zu Egoisten, übertriebener Individualismus würde um sich greifen und nicht einmal die Gemeinschaft der Janitscharen-Kapelle wäre dann möglich.

Ich meine, ein gut funktionierendes Gemeinwesen erkennt man heute nicht zuletzt auch an seinem Vereinsleben. Ein solches, gesundes Vereinsleben soll den Gemeinsinn und die Aufgeschlossenheit der Bürger für die gemeinsamen Belange wecken und fördern. Dass wir Janitscharen vom intakten Gemeinsinn der Altenauer Bevölkerung so stark profitiert haben - ich meine die in den vergangenen Monaten gelaufene Sammlung zur zu Gunsten unserer neuen Uniform - hat uns überwältigt. Fast ein Drittel der Anschaffungskosten für unser neues "Outfit" konnten mit Ihrer Hilfe, liebe Altenauerinnen und Altenauer, finanziert werden. Dafür sagen wir Ihnen unseren herzlichsten Dank.

Wir können uns glücklich schätzen in Altenau über eine große Zahl von Vereinen zu verfügen, die sich die unterschiedlichsten Interessen auf ihre Fahnen geschrieben haben. Was auch immer das Vereinsziel sein mag, ob im Ski-Club oder unserem "FC", bei den Bruchbergsängern, im Harzklub, Verkehrsverein, oder im DRK, überall sind Idealisten am Werk, die ohne ein Streben nach materiellem Gewinn einen großen Teil ihrer Freizeit zum Wohle der Allgemeinheit opfern. Es gibt genügend Freizeitbeschäftigungen, an denen nur der Ausübende seine Freude hat. Wer sich einer Musikgruppe anschließt, sucht gewiss auch persönliche Befriedigung, er weiß aber auch, dass er in einer solchen Gemeinschaft der Allgemeinheit dient.

Niemals zuvor hat es in unserer Gesellschaft so große Veränderungen gegeben, wie gerade in den letzten Jahrzehnten. Immer wieder wird behauptet, viele überlieferte Traditionen seien ein Opfer unserer modernen, schnelllebigen Zeit geworden, für vieles Althergebrachte sei in der Gegenwart kein Platz mehr. Dass diejenigen, die heute diese Behauptung immer wieder aufs Neue artikulieren, sich nicht unbedingt und in jedem Fall im Recht befinden, auch dafür sind die Janitscharen, das lebende, ja lebendige, Beispiel.

Ein kleiner Anteil am kulturellen Leben in unserer Bergstadt kommt damit sicher der Janitscharen-Kapelle zu, die heute - und deshalb sind wir hier zusammen gekommen - ihr 150jähriges Bestehen feiert. Wenn es gilt, ein Blaskonzert für unsere Kurgäste zu gestalten, oder aber ein anderes Ereignis von öffentlichem Interesse musikalisch zu umrahmen - die Janitscharen sind zur Stelle und das zu jeder Zeit und bei jedem Wetter.

Eines der ältesten Worte unserer Sprache ist das Wort "Fahne". Es ist ein Symbol, um das sich Gleichgesinnte versammeln, als Ausdruck ihrer Gemeinschaft. Ausdruck der Gemeinschaft der Janitscharen aber ist die Musik, das gemeinsame Musizieren.

Musik hat eine wunderbare Kraft. Sie hebt den geplagten Menschen aus seinen Alltagssorgen, schafft aber auch eine Gemeinschaft ohne Unterschied von Rang und Namen und Parteien. Musik schlägt Brücken. Schon die Alten haben dieses Rezept gekannt. Wenn in früheren Zeiten Musikanten in die Stadt kamen, dann scharte sich das Volk um sie und es ruhte der Hader. Wenn die Musik den Menschen über seien Alltag hinaushebt, in ihm den Willen zur Feierlichkeit auslöst und zur Fröhlichkeit des Herzens, dann gilt das für das Musizieren, als auch für das Mithören. Die Janitscharen haben Freude an ihrer Musik und machen auch ihren Mitmenschen Freunde.

Das muss auch der Wille der Männer gewesen sein, die vor 150 Jahren in der Gastwirtschaft "Zur Grünen Tanne", beschlossen, eine Waldarbeiterkapelle zu gründen. Sie ahnten aber damals noch nicht, dass ihr Vorhaben einmal Träger eines kulturellen und geselligen Lebens werden sollte und eine stolze Tradition aufweisen wird.

Zu allen Zeiten mussten Männer bereit sein, zu führen und zu leiten. Hier galt und gilt es, ungezählte Übungsstunden abzuhalten und den Darbietungen vorzustehen. Damit verbunden ist die Aufgabe, alle zusammenzuhalten. Dies gilt für den Vorsitzenden, Jürgen Riese und auch den Dirigenten Erich Brabandt. Nur wer selbst einmal eine solche Aufgabe übernommen hat, weiß das unermüdliche, ja selbstlose Wirken zu schätzen. Euch beiden, lieber Jürgen, sehr geehrter Herr Brabandt, im Namen aller Aktiven von hier aus meinen herzlichen Dank!

Seit 1847, in 150 Jahren, gab es neun Dirigenten, der zehnte sitzt unter uns. Zehn Männer sorgten in dieser Zeit für Harmonie und Gleichklang. Einige Namen dürfen deshalb heute an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben:

Sicher an erster Stelle ist ein Mann zu nennen, der die musikalische Leitung von 1919 bis 1974 innehatte. Berthold Kleinewig dirigierte die Janitscharen mehr als 50 Jahre. Für sein musikalisches Lebenswerk - er leitete neben den Janitscharen auch noch den Männergesangsverein "Sylvania", komponierte und arrangierte das eine oder andere Musikstück - wurde ihm 1972 das Große Verdienstkreuz am Bande des Niedersächsischen Verdienstordens verliehen. Wir können heute nicht ermessen, wie vielen Musikern er die ersten Töne beigebracht hat. Ich persönlich kann mich noch genau erinnern: Wir wohnten bis Anfang der 60er Jahre in der Hüttenstraße, unterhalb des Sportplatzes - genau gegenüber des ehemaligen Elektrizitätswerks, für das Berthold Kleinewig zuständig war. Mehrmals in der Woche, am späten Nachmittag, wenn so langsam der Feierabend eingeläutet wurde, wurde das Summen der Turbinen ergänzt durch die musikalischen Gehversuche des Janitscharen-Nachwuchses, häufig unterbrochen von den gestrengen Ordnungsrufen des Herrn Kapellmeisters - immer dann, wenn einmal ein nicht so ganz astreiner Ton aus Posaune, Tenorhorn oder Trompete erklang oder aber es mit der richtigen Einteilung haperte.

Die älteren Altenauer werden sich sicher noch erinnern können, wie Berthold Kleinewig, bei jedem Wetter bekleidet mit einem Gummimantel, auf seinem uralten Motorrad zu den Konzerten fuhr. Nur eine einzige Situation war unserem Onkel Berthold wichtiger als die Musik: Immer dann, wenn sich der Himmel über dem Konzertgarten verdunkelte, und über den Harzer Bergen ein Gewitter aufzog, ging es - auch während des Konzertes - mit drei knappen Worten "Ich muss umschalten!" zurück in das E-Werk um bei einem Blitzeinschlag die Stromversorgung in Altenau aufrecht zu erhalten. Hochachtung vor soviel Pflichtbewusstsein!

Nach Berthold Kleinewig hatten Rudolf Weck von 1973 bis 1975, Mario Weber von 1975 bis 1980 und seit 05. Februar 1980 bis heute Erich Brabandt die musikalische Leitung - und Herr Brabandt, ich darf hoffen, dass das auch für die nächsten Jahre so bleibt.

Aus der Reihe der 1. Vorsitzenden ist Albert Lader zu nennen, der die Janitscharen aus den Kriegswirren heraus bis kurz vor seinem Tod im November 1970 organisatorisch geführt hat. Auch hier fällt mir wieder eine persönliche Erinnerung ein: Albert Lader hatte eine private Vereinbarung mit Helmi Clauss, dem Leiter der damaligen Kurverwaltung, dass immer dann, wenn ein Bundeswehr-Orchester im Konzertgarten gastierte, die aktiven Mitglieder der Janitscharen-Kapelle freien Eintritt zu diesem Konzert hatten. Und man konnte die Uhr danach stellen: Kaum hing am Altenauer Hof ein entsprechendes Plakat, kam der Onkel Albert mit einer Hand voll Freikarten zu uns nach Hause und sagte: "Junge, bring de Freikarten rum, morring is Miltärkonzert!"

Auch für eine Blaskapelle sind die Finanzen eine wichtige Angelegenheit. Einer, der das Amt des Schatzmeisters mit Bravour ausfüllte und die Kasse nur selten öffnete, war Robert Ehrenberg. Hier einige Anekdoten, die wir ihm zu verdanken haben:

Da war zunächst die Vereinsfahrt zum Hohen Meißner Ende der 60er Jahre. Angekommen am Berggasthaus blieben die vorderen Bustüren zu, jeder hatte den Bus durch den hinteren Ausgang zu verlassen und erhielt vom Kassenführer einen 10-DM Schein für Verzehr in die Hand gedrückt. Auf der Rückfahrt spätnachmittags machte der Bus an einem Grillplatz Halt, es wurde Glut entfacht und bis die Würstchen fertig waren, gönnte man sich erst mal ein mitgebrachtes Altenauer Bier. Denn die Kasse hatte 50,00 DM für Bier und Würstchen vorgestreckt. Im Bus kurz vor Altenau ging Robert Ehrenberg von Sitzreihe zu Sitzreihe, um das Geld für den Verzehr von Bier und besagten Würstchen zu kassierten. Es mag am Alkohol gelegen haben, jedenfalls fehlten bei der Abrechnung knapp 20,00 DM, hatte die Kasse doch 50,00 DM ausgelegt. Auf den folgenden Jahreshauptversammlungen wurden die "Zechpreller" mehrmals gemahnt, doch endlich ihre Würstchen aus dem Werratal zu bezahlen. Es bedurfte schließlich eines formellen Beschlusses einer Jahreshauptversammlung, den Sündern ihre Zeche zu erlassen. Damit war die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung wieder hergestellt - und für Robert Ehrenberg nach über vier Jahren die Welt wieder in Ordnung!

Oder eine andere Begebenheit, die uns hin und wieder auch heute noch amüsiert: Kassenprüfung der Janitscharen-Kapelle in der Wohnung des Kassenführers. Ein Kassenprüfer, es war Eckhard Riesen, erdreistete sich, einen kleinen, handlichen schwarzen Koffer mit zur Kassenprüfung zu bringen. Inhalt: Eine elektrische Additionsmaschine. Robert Ehrenberg fasste die bloße Anwesenheit einer Rechenmaschine als persönliches Misstrauen gegenüber seiner Buchführung auf. Er stellte die Kassenprüfer vor die Alternative: "Entweder der Koffer mit der Additionsmaschine bleibt zu, oder aber meine Bücher. Sowas hat's ja noch nie gegeben!“ Man einigte sich dann, die Kassenprüfung - wie in etlichen Jahren vorher - ohne elektrische Hilfe durchzuführen.

Von Ernst Wagner, Schriftführer und Schlagzeuger bis 1971 ist mir nur ein Satz in Erinnerung, den er bei einem feucht-fröhlichen Auftritt aussprach: "Jungs, sauft bis euch der Nabel glänzt!" Sprachs und fiel, vom Alkohol übermannt. kopfüber nach vorn über seine große Trommel.

Soweit ein kleiner Ausflug in die jüngere Ver­gangenheit. Viele Namen wären noch zu nennen: Willi Ehrenberg, ehemaliger Vorstand und akribischer Notenwart, Erwin Reckewell, oder noch weiter zurück Karl Fuchs, Hermann Keller, Otto Mühlhahn, Hermann Schwarze, Heino Riese: Sie alle haben in der Geschichte unseres Vereins ihren festen Platz. Ich denke, die geschilder­ten Begebenheiten zeigen, was noch zu einer Gemeinschaft gehört: Geselligkeit und Frohsinn! Das hat uns Berthold Kleinewig auch schon immer eingebläut. Er sagte: „Die Musik ist nur das zweitwichtigste, das wichtigste ist der Zusammenhalt und die Kameradschaft. Wenn die stimmt, dann stimmt auch die Musik.“

Damit sind wir wieder bei unserem Leitmotiv "Gemeinschaft". Hören wir noch einige Worte von Karl Fieke, die dieser vor siebzig Jahren - zum 80jährigen Bestehen geschrieben hat. Für mich spiegeln diese Worte gewissermaßen den Grundgedanken der Janitscharen-Kapelle wider. Hören Sie selbst, Fieke schreibt:

"Acht Jahrzehnte lang hat nun die Janitscharen-Kapelle in Altenau, gleich den anderen Musikvereinen, nicht aus dem Streben nach materiellem Gewinn, sondern nach freien Rates freudigem Entschluss, um des Edlen, das in der Musik liegt, selbst willen, dieser Kunst und damit ihren Mitbürgern in Freud und Leid gedient; sie hat bei Gottesdiensten in der Kirche Gott den Allerhöchsten loben helfen; sie hat mit Fanfarenmärschen die jungen Paare auf dem Wege zum Traualtar begleitet, und sie hat in wehmütigen Weisen an den Gräbern der Freunde geweint und ihnen den letzten Abschiedsgruß in die Gruft nachgerufen. Nimmt man noch hinzu, dass die Janitscharen‑Kapelle die erste war, die in den 1870er Jahren die ersten in Altenau wohnungnehmenden Kurgäste durch ihre Weisen auf würdige Art begrüßte, so kann die Kapelle, rückschauend auf die Vergangenheit, mit stolzer Genugtuung von sich sagen, dass es ein umfassendes Gebiet ist, auf dem sie sich in selbstloser Weise betätigt hat.“ Soweit Karl Fieke.

150 Jahre Janitscharen-Kapelle Altenau, eine goldene Jubiläumszahl. Wenn in den langen Jahren auch Höhen und Tiefen zu überwinden waren, habe ich mich in der Gemeinschaft der Janitscharen immer sehr wohl gefühlt. Mein Dank gilt denen, die unseren Verein gefördert und die Freude an der Blasmusik in uns wach gehalten haben. Möge das auch in Zukunft so sein, damit den nachfolgenden Generation die Janitscharen-Kapelle in Altenau erhalten bleibt.